Kunstwerk des Monats April

Kerstin Kartscher, Die Sabinerin, 2005

Kerstin Kartscher

* 1966 in Nürnberg (DE), lebt in London (GB)


Die Sabinerin, 2005


Markise, Holz, Streckmetall, Maschendraht, Schaffell, Bettzeug, Leder, Krone, Netz, Perlen, Tinte und Filzstift

83x247x116cm

Die provisorisch anmutende Konstruktion aus einer Sonnenmarkise und verbundenen Wandelementen aus Streckmetall mit dem Titel Die Sabinerin erinnert auf den ersten Blick an einen behelfsmässigen Unterschlupf. Näher betrachtet fällt auf, dass an der Aussenseite dieses zeltartigen Konstrukts abwehrender Maschendraht auf fast schmückende Weise befestigt wurde und der Markisenstoff mit Perlen und sorgsam eingeschnittenen Ornamenten verziert ist. Im Inneren befindet sich eine kleine, glitzernde Krone, ein Schaffell sowie Bettzeug liegen bereit und am Seiten-Panel der Markise lässt sich die Zeichnung einer Frauengestalt in einer üppigen botanischen Landschaft entdecken. Wen könnte diese Behausung beherbergen? Dient sie als Schutzraum, Schlupfwinkel, als geheimes Versteck, als träumerischer Zufluchtsort oder vielleicht als privater Denkraum?

Nach Kerstin Kartscher bezieht sich die Zeichnung auf die attraktive, autonome Figur der von Jeanne Moreau, eine der Filmdiven des 20. Jahrhunderts, dargestellten Eve aus Joseph Loseys gleichnamigem Film von 1962. Sie hält ein übergrosses Bündel Geld zu einem Fächer zusammen, welches formal eine Wiederholung des Seiten-Panels der Markise darstellt. Stark und sich ihrer selbst bewusst blickt die Frauengestalt dem Betrachter entgegen.

Der Titel Die Sabinerin verweist ebenfalls auf starke heroische Frauen – in der Mythologie stellen sich die von Romulus, dem Gründer Roms, geraubten Sabinerinnen auf dem Schlachtfeld zwischen die bekämpfenden Völker und stiften auf diese Weise Frieden.1 Die Sabinerin lädt den Besucher auf eine Entdeckungsreise der eigenen Assoziationen ein. Welche Gefühle, welche Erfahrungen werden mit einem solch ambivalenten – behütenden und doch provisorischen, intimen und doch nach Aussen offenen, schützenden und doch verletzlichen – imaginären Raum verknüpft? Die Künstlerin selbst betrachtet ihre atmosphärische Assemblage als einen «femininen Rückzugsort einer selbständigen Frau».

Denise Rigaud

<b>Kerstin Kartscher, Die Sabinerin, 2005</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.