Kunstwerk des Monats Juni

Max Beckmann, Selbstbildnis mit Glaskugel, 1936, Hilti Art Foundation

Max Beckmann

* 1884 in Leipzig, Deutschland, † 1950 in New York, USA


Selbstbildnis mit Glaskugel, 1936


Öl auf Leinwand

110,2 x 64,4cm

Hilti Art Foundation

Während seines gesamten künstlerischen Lebens hat Max Beckmann immer wieder die eigene Person ins Bild gesetzt, mittels Zeichnung, Grafik, Malerei und Plastik. Wie die Selbstbildnisse anderer grosser Künstler zeugen sie beispielhaft von der physischen Erscheinung und geistigen Verfassung eines schöpferischen Menschen unter den Bedingungen wechselnder Lebensumstände.

1936, als sein Selbstbildnis mit Glaskugel entstand, erwog Beckmann, wohnhaft in Berlin, die Emigration in die USA. Drei Jahre zuvor, kurz nach der Machtergreifung der NSDAP in Deutschland, wurde er aus dem Lehramt an der Frankfurter Städelschule entlassen. Die Presse hetzte gegen ihn und sein «entartetes» Werk. Die Ausreise in die USA kam nicht zustande. 1937 aber floh Beckmann mit seiner Frau aus Berlin und liess sich in Amsterdam nieder, das 1940 von deutschen Truppen besetzt wurde. Nach zehn Jahren bedrückendem Exil emigrierte er schliesslich 1947 nach Amerika.

Diese kurzen biografischen Angaben lassen erahnen, vor welchem Lebenshintergrund Beckmann sein Selbstbildnis mit Glaskugel gemalt hat. Welche Zukunft drohte einer mehr als trostlosen Gegenwart? Zu ihrer Ergründung benutzt der Künstler im Bild eine Glaskugel, ein Instrument der Mantik, das ihn zum Seher und Wahrsager macht. Früh schon hatte sich Beckmann, epochen- und kulturübergreifend, für alles aufgeschlossen gezeigt, was der geistigen Erkenntnis und dem Blick hinter die Erscheinungen der Wirklichkeit diente. Ruhig liegt die Glaskugel in seiner Hand, behutsam gegen die Brust gedrückt. Helles Licht erfasst Gesicht und hohe Stirn. Tief verschattet sind indes die Augen. Sinnend geht sein ernster Blick zugleich nach innen sowie hinaus in den dunklen Raum, der sich jenseits des mächtigen Körpers und einer offenen Tür, die seinen Kopf wie ein Nimbus hinterfängt, ins Unendliche und Ungewisse verliert. Durch den Verzicht auf jedes erzählerische Detail erscheint Max Beckmann, der nur mit dem Attribut des Wahr-Sehens und -Sagens ausgestattet ist, den realen Zeitumständen enthoben. So ist hier der mit leiblichen und geistigen Augen der Wahrheit zugewandte Mensch das alleinige und überzeitliche Bildthema.

Uwe Wieczorek

<b>Max Beckmann, Selbstbildnis mit Glaskugel, 1936, Hilti Art Foundation</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.