Kunstwerk des Monats September

Umberto Boccioni, Forme uniche della continuità nello spazio, 1913, Hilti Art Foundation

Umberto Boccioni

* 1882 Reggio di Calabria, Italien, † 1916 Verona, Italien


Forme uniche della continuità nello spazio, 1913


Bronze, Guss vom Originalgips: 1949

(Guss: Giovanni und Angelo Nicci, Rom)

120 × 40 × 90cm,
Hilti Art Foundation

Forme uniche della continuità nello spazio (Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum) ist in der Absicht entstanden, die Bewegung eines menschlichen Körpers, seine Dynamik im Raum, plastisch sichtbar zu machen. Wie Umberto Boccioni war auch Marcel Duchamp in der Zeit um 1912 an dieser Thematik interessiert, die Henri Bergson zuvor schon philosophisch zu erfassen suchte. Noch im selben Jahr, in dem Boccioni plastisch an den Forme uniche zu arbeiten begann, malte Duchamp seinen Akt, eine Treppe hinabsteigend (1912). Visuell angeregt wurde Duchamp zu diesem Bild durch das Medium der Chronofotografie, das er in dem Lehrbuch Le Mouvement (1894) des Physiologen Etienne Jules Marey entdeckt hatte. Die in diesem Buch abgebildeten Fotografien kontinuierlicher Bewegungsabläufe des menschlichen Körpers waren auch Boccioni bekannt. Mit seinen Forme uniche hat er zu Duchamps Akt, eine Treppe hinabsteigend das plastische Pendant geschaffen, und zwar ebenfalls mit statischen Bildmitteln. Dennoch unterscheidet sich diese Plastik von allen ihr in der Geschichte der Kunst vorausgegangenen Werken dadurch, dass nicht einfach nur ein menschlicher Körper in Bewegung dargestellt ist, sondern dass das Kontinuum der Bewegung selbst in seiner die Form des menschlichen Körpers verändernden Wirkung gezeigt wird. Es scheint, als habe Boccioni den Körper seiner Haut beraubt, um die durch Bewegung sozusagen chronofotografisch in die Länge gezogenen Muskeln umso deutlicher sichtbar werden zu lassen. Damit hat Boccioni zugleich das «futuristische Menschenbild» schlechthin geschaffen, denn es zeigt den Menschen unter den Bedingungen der «Geschwindigkeit des modernen Lebens», dem die Futuristen, zu deren Hauptvertretern Boccioni gehörte, enthusiastisch huldigten.

Boccionis Werk gingen drei, heute nicht mehr erhaltene Plastiken voraus (alle 1913), mit denen er sich an das Thema der Bewegung eines menschlichen Körpers herantastete. Die zunehmende Reduktion des plastischen Materials führte schliesslich zu Forme uniche, die er, wie auch die drei vorausgegangenen Plastiken, in Gips ausführte, von welchem erst nach Umberto Boccionis Tod autorisierte Bronzegüsse angefertigt wurden.

Uwe Wieczorek

<b>Umberto Boccioni, Forme uniche della continuità nello spazio, 1913, Hilti Art Foundation</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.