Kunstwerk des Monats Oktober

Ferdinand Nigg, Jagd I, undatiert

Ferdinand Nigg

* 1865 in Vaduz, Liechtenstein, † 1949 in Vaduz


Jagd I, undatiert


Wollstickerei auf Stramin
89 × 84,5cm

Jagd I ist mit seiner monochromen, eierschalenfarbenen und nicht flächenfüllenden Stickerei, die den geringfügig dunkleren Stickgrund, das Stramin, samt Vorzeichnung immer wieder durchschimmern lässt, ein eindrückliches Beispiel für das ineinandergreifende Zusammenspiel von Figuration und Abstraktion in Ferdinand Niggs gesticktem Werk. Auf dem Kreuzstich als einer minimalistischen Grundstruktur aufbauend weist Jagd I, wie Rüdiger Joppien es formuliert, «eine starke Verschränkung und Überkreuzung von rechteckigen, quadratischen und dreieckigen Flächen und Teilflächen auf.» Dabei ist der Einsatz des Kreuzstichs in diesen verschachtelten Flächenelementen besonders meisterlich: halbe und ganze Kreuzstiche fügen sich zu vielgestaltigen, teils flirrenden Mustern. In diesem abstrakt-ornamentalen Gefüge lassen sich fünf rennende und springende Hunde, die ein Reh umkreisen, erkennen. Mittig in der unteren Hälfte ist mit langen Läufen das Reh auszumachen, zu dessen Seiten und oberhalb die Hunde sich in verschiedene Richtungen bewegen. Markant ist, auch wenn das links unten befindliche Monogramm FN die Ausrichtung des fast quadratischen Bildteppichs vorgibt, dass sich die Komposition zu allen Seiten hin orientiert. Dieses von mehreren Seiten zu Betrachtende zeugt von Niggs eingehender Kenntnis der Tradition des Rapports und des Ornaments, so bergen etwa das Kreuz und das Quadrat die vier Himmelsrichtungen in sich. Die Mehransichtigkeit sowie das Changieren zwischen Abstraktion und Figuration als einem sich bedingenden Gegensatzpaar unterstreichen das der gesamten Komposition innewohnende Bewegungsmoment. So markiert diese rotierend anmutende Bewegung einen ewigen Kreislauf – gleichsam ein Kontinuum.

Nigg war Maler, Grafiker, Textildesigner, Buchgestalter und Typograf. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit an den Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen in Magdeburg und später Köln schuf Nigg grossteils im Verborgenen ein umfangreiches, überwiegend nicht datiertes, zeichnerisches und gesticktes Werk. Nach seiner Pensionierung 1931 kehrte Ferdinand Nigg nach Liechtenstein zurück, wo bis zu seinem Tod im Jahr 1949 sein Spätwerk entstand.

Christiane Meyer-Stoll

<b>Ferdinand Nigg, Jagd I, undatiert</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.