Kunstwerk des Monats Oktober

Hanna Roeckle, Aquarius, 2014/15

Hanna Roeckle

*1950 in Vaduz, lebt und arbeitet in Zürich


Aquarius, 2014/15


Autolack auf Epoxidharzlaminat

125 × 99 × 99 cm

Ankauf ermöglicht durch Iwan & Monika Ackermann und First Advisory Group

Sechs gleichförmige, spitz zulaufende Fünfecke sind so über der Fläche eines gleichseitigen Dreiecks angeordnet, dass diese einen gleichförmigen Körper ergeben, der auch oben von einem gleichseitigen Dreieck abgeschlossen wird. Die acht Flächen dieses Polyeder genannten Körpers sind mit einem Autolack spiegelglatt beschichtet. Je nach Lichteinfall und Standpunkt des Betrachters schimmern die einzelnen Flächen in unterschiedlichen Farben: in Blau-, Lila- und Brauntönen. Die Annäherung an die streng gleichförmige Skulptur wird so zu einem lebendigen Wahrnehmungsprozess.

Die Wechselwirkung von geometrisch definierter Form und lebendiger Oberfläche ist seit Längerem Thema der in Vaduz geborenen Künstlerin Hanna Roeckle. Dabei greift sie auf das Formvokabular der Skulptur des Minimalismus, etwa von Donald Judd, zurück und bricht diese Strenge durch unregelmässig gestaltete Oberflächen. Die lebendige Anmut dieser Oberflächen kann allein schon durch das verwendete Material, etwa dünn lasiertes Holz, entstehen oder sie ergibt sich durch die wörtlich «malerische» Gestaltung. Das Einzigartige, Individuelle – die künstlerische Handschrift – der Oberfläche legt sich dabei wie eine Folie auf die Grundformen ihrer Objekte.

In ihrer Skulptur Aquarius wird diese Verbindung noch einmal zugespitzt, indem der lebendi- ge Farbeindruck nicht durch eine Vielfarbigkeit oder die materielle Beschaffenheit der Oberfläche, sondern allein durch die Reflexion des Lichtes im Auge des Betrachters entsteht. Das leuchtend Farbige, das in der Kunst traditionell für die Handschrift des Künstlers, die Geste stand, ist bei dieser Skulptur schon in der aufwändig polierten Oberfläche vorgegeben. Hanna Roeckle hat diese spezielle Form des Polyeders einem berühmten Kupferstich Albrecht Dürers von 1514 entnommen: Melancholia I. In diesem rätselhaften Stich, der am Beginn der Renaissance zentrale Fragen des Künstlerselbstverständnisses, nach Handwerk und schöpferischem Geist, versinnbildlicht, nimmt der Polyeder, dessen Form oftmals schon zu deuten versucht worden ist, einen grossen Teil der linken Bildhälfte ein. 2014, 500 Jahre nach Dürers Stich, verleiht ihm Hanna Roeckle seine Eigenständigkeit als Kunstwerk.

Robin Hemmer

<b>Hanna Roeckle, Aquarius, 2014/15</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.