Kunstwerk des Monats Mai

Thomas Struth, Museo del Prado 2, Madrid 2005, Hilti Art Foundation

Thomas Struth

* 1954 in Geldern, Deutschland


Museo del Prado 2, Madrid 2005


Chromogener Abzug

180 x 214 cm

Hilti Art Foundation

 

Thomas Struths Fotografie aus einer Serie von Museumsbildern zeigt einen Ausstellungsraum im weltweit berühmten Prado-Museum in Madrid. Im Bildvordergrund sind zwei stehende, nach rechts ins Profil gewendete junge Frauen zu sehen, die ihren Blick vermutlich auf ein nicht sichtbares Gemälde im Museumsraum richten. Es sind unbekannte, doch erkennbar aus Ostasien stammende Touristinnen in westlich geprägter Freizeitkleidung. Die etwas weiter hinten und in der Mittelachse des Bildes stehende Person hält einen durch die Ausstellung führenden Audio-Guide in der Hand. Er ist kaum sichtbar, markiert aber exakt den Linienschnittpunkt von Raumecke und Wandtäfelung. Er markiert zugleich die Ebene maximaler Bildschärfe und macht daher die Inschrift auf dem technischen Gerät lesbar: MUSEO NACIONAL DEL PRADO.

Die hinter den beiden Frauen sichtbaren Gemälde des spanischen Malers Diego Velázquez (1599–1660) zeigen, jeweils in ganzer Gestalt und damit in höchster Würdeform, links den griechischen Fabeldichter Äsop (vermutlich 6. Jh. v. Chr.) und rechts den spanischen König Philip IV. (1605–1665) aus dem Hause Habsburg. Ihm diente Velázquez als Hofmaler. Garderobe und Attribute veranschaulichen den sozialen und geistigen Status beider Personen. Der greisenhaft melancholische Dichter ist mit verschlissenem Mantel und Buch ausgestattet, der junge König mit edler Jagdkleidung und Gewehr.

Auf diese beiden Gemälde, auf diese Raumecke, die ein elektronischer Bewegungsmelder akzentuiert, hat Struth im Voraus die Kamera gerichtet. Zu ihnen kommen, dem Zufall geschuldet, die zwei jungen, von der Kamera keinerlei Notiz nehmenden Frauen hinzu. Sie sind Anlass für die Betätigung des Auslösers im richtigen Moment. Struths Fotografie ermöglicht einen anthropologischen Vergleich durch die simultane Betrachtung von Menschen weit auseinanderliegender Orte und Zeiten unter dem Aspekt der kulturellen Differenz und der globalen Mobilität. Den Besuchern fehlt vielleicht literarisches und historisches Wissen zu Äsop und Philip IV., dennoch können sie eine menschliche Brücke zu ihnen schlagen, da beide die Blicke all jener erwidern, die in ihre grundverschiedenen Gesichter schauen.

Uwe Wieczorek

<b>Thomas Struth, Museo del Prado 2, Madrid 2005, Hilti Art Foundation</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.