Kunstwerk des Monats März

Rivane Neuenschwander, Bataille, 2017

Rivane Neuenschwander

1967 in Belo Horizonte, Brasilien


Bataille (Schlacht oder (George) Bataille), 2017


Holz, Kork, Filz und gewebte Textiletiketten
200 x 820 x 5 cm (Rahmen)
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz / Erworben mit Mitteln der Stiftung Freunde des Kunstmuseum Liechtenstein

 

Ein dunkler Holzrahmen umrahmt eine grosse, leere, dunkelgraue Fläche aus Filz – eine Einladung an die Besucher:innen, diese ‹Bildfläche› mit farbigen Etiketten aus den drei freistehenden Boxen zu füllen. Rivane Neuenschwander recherchierte für ihre Arbeit Bataille, die 2017 im Rahmen der Lyon Biennale entstand, Worte auf Transparenten und Schildern verschiedener Proteste, in denen sich Menschen öffentlich einsetzen, sei es für Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit oder die Zukunft. Für Bataille übertrug sie ausgewählte Worte in Schrift, Form und Farbe, wie sie von den Aktivist:innen gestaltet worden waren, auf das kleine Format von Textiletiketten, wie sie für die Kennzeichnung von Kleidungsmarken verwendet werden. Hier bilden sie nun ein Reservoir, das, aus dem Raum der öffentlichen Manifestation herausgenommen, zu einem freien Spiel mit Worten werden kann: Jede:r kann die Stoffetiketten zu neuen Botschaften zusammensetzen. Im Zusammenspiel mit vielen anderen Besucher:innen formt sich über die Zeit ein ‹kollektives Gemälde›, in dem sich Träume und Wünsche eines heterogenen ‹Sozialkörpers› abzeichnen.

Der Schriftsteller und Philosoph George Bataille (1897–1962), auf den sich auch der doppelsinnige Titel bezieht, verhandelt in seinen theoretischen Schriften u. a. die Bedeutung des Verlusts des Sakralen und des Verschwenderischen in Gesellschaften, wie sie sich z. B. in Bräuchen ausdrücken. Diese ekstatischen Momente vermögen in eine menschliche Tiefe vorzudringen, in die die Vernunft nicht hinabreicht. Neuenschwander überführt traditionelle Bräuche und Formen einer ‹Volkskultur› in die Gegenwart und initiiert damit eine Transformation, die einen rituellen Charakter und eine Neufindung der Sprache in sich birgt. Neuenschwander vertraut auf die Kraft der Poesie, die das zutiefst Menschliche zu berühren vermag. Die Besucher:innen können die Etiketten auch an ihre Kleidung heften und so selbst zu Träger:innen poetischer Botschaften werden.

Christiane Meyer-Stoll

 

«Poesie scheint im weiteren Sinn ein möglicher Weg zu sein, um die vorhersehbaren Wirkmechanismen von Sprache zu umgehen. Poesie enthält zudem eine solche gedankliche Raffinesse, dass kein Platz mehr bleibt für einfache Dichotomien.»

Rivane Neuenschwander

Rivane Neuenschwander. knife does not cut fire, Christiane Meyer-Stoll (Hg.), Ausst.-Kat. Kunstmuseum Liechtenstein, Wien (Verlag für moderne Kunst) 2022, S. 15.

<b>Rivane Neuenschwander, Bataille, 2017</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.