Kunstwerk des Monats November

A Recovered Bone (2001: A Space Odyssey), 2015

Clemens von Wedemeyer

1974 in Göttingen, Deutschland


A Recovered Bone (2001: A Space Odyssey), 2015


3D-Druck aus Quarzsand, anorganisches Bindemittel, Video, Farbe, ohne Ton
5:30 Min. (Loop)
9 × 13 × 55 cm
Ed.: 1/3 + 3. A.P.
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

A Recovered Bone (2001: A Space Odyssey) [Ein wiedergefundener Knochen (2001: Odyssee im Weltraum)] holt ein ikonisches Requisit der Filmgeschichte – den berühmt-berüchtigten Knochen aus der Anfangssequenz von Stanley Kubricks Film – vom Himmel zurück auf die Erde, aus der zivilisatorischen Vor- und Nachgeschichte in die Gegenwart, um das Objekt im Ausstellungsraum als Skulptur zu rematerialisieren. Auf die eine oder andere Weise umspielen diese Werke die Grenze zwischen Fiktion und Dokument. Zugleich konfrontieren sie ihre jeweiligen Sujets mit Operationen, die als Umrechnungsprozesse zwischen der Zweidimensionalität des Bildes und dreidimensionalen Räumen zu verstehen sind.

In Kubricks Film ist der Knochen, hochgeschleudert von einem Primaten, nachdem er ihn als tödliche Waffe gegen einen der gegnerischen Artgenossen eingesetzt hatte, ein Projektil. Der vielleicht berühmteste Match Cut der Filmgeschichte überbrückt Jahrtausende, in der Rotation der Flugbewegung verschmelzen zivilisatorische Extreme, ein mythisches «Vorher» und ein spekulatives «Nachher». 1969 schrieb Annette Michelson in einem einflussreichen Essay in Artforum: «Die Verwandlung vom Knochen zum Raumschiff, die Kubrick in der Abwärtsbewegung durch diesen einzigen Schnitt realisiert, der den Prolog beschliesst und die Odyssee einleitet, beschreibt in der spektakulärsten Ellipse der Filmgeschichte nichts Geringeres als den gesamten Verlauf der Menschheitsgeschichte, die Geburt und Evolution der Intelligenz.»

Von Wedemeyer rematerialisiert den Knochen, indem er seine dreidimensionale Form aus den Filmbildern herausrechnen lässt. Am Set von Kubricks Film war 1968 aus einem banalen Requisit ein mythisch aufgeladener Knotenpunkt zwischen den Welten geworden. Von Wedemeyer interpretiert die Bilder aus Kubricks Film als Aggregat von Daten, die durch den 3D-Drucker in die wirkliche Welt zurückübersetzt werden. Man kann diese Arbeit als ‹reverse engineering› verstehen, als konzeptuelle Punktspiegelung des Produktionsmoments, wobei die Spuren und Ungenauigkeiten der Umrechnungsprozesse als Artefakte sichtbar bleiben.

Volker Pantenburg

 

«Der Knochen aus Stanley Kubricks Film 2001: A Space Odyssey (1968) ist Teil einer Kino-Frage, die ich skulptural zu lösen versucht habe: Im Film wird der Knochen von Frühmenschen in die Luft geworfen, als wären sie mit diesem Werkzeug als Erfindung einer Waffe auf einer neuen Entwicklungsstufe angekommen. Im Film wird der Knochen weggeschnitten, und ein Raumschiff erscheint: die Fiktion von Fortschritt oder Evolution. Eigentlich müsste der Knochen mit der Gravitation wieder herunterfallen, aber wir sehen ihn nicht mehr. Die Frage war, wo er geblieben ist.»

Clemens von Wedemeyer

 

 

Annette Michelson, «Bodies in Space: Film as ‹Carnal Knowledge›», in: Artforum, Februar 1969, https://www.artforum.com/print/196902/bodies-in-space-film-as-carnal-knowledge-36517.

Eine Art Zeitreise. Clemens von Wedemeyer im Gespräch mit Marie-France Rafael, in: «clemens von wedemeyer», Letizia Ragaglia, Christiane Meyer-Stoll, Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz (Hgg.), aus der sammlung 11, Vaduz 2023, S. 27–28.

<b>A Recovered Bone (2001: A Space Odyssey), 2015</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.