Kunstwerk des Monats September

Clemens von Wedemeyer, Untitled (Cleopatra), 2014–2019

Clemens von Wedemeyer

1974 in Göttingen, Deutschland


Untitled (Cleopatra), 2014–2019


Harz und Marmorstaub, reflektierendes PVC, Schallwandler, Monoverstärker, Mediaplayer, Kabel, Sounddatei, Holzsockel
4 Min.
Skulptur: 49 × 30 × 32 cm, Sockel: 90 × 50 × 40 cm
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

Untitled (Cleopatra), ein antikisierender Skulpturenkopf aus PVC, aus dem Fragmente von Melodien und Geräusche im Stil von ASMR-Performances tönen, entstand für eine Ausstellung, die dem Zusammenhang von historischer Sprachforschung im Spannungsfeld von Spracherwerb und Sprachverlust und aktuellen Forschungen zu Künstlicher Intelligenz (KI) und synthetischem Sprechen nachspürt und beides miteinander kurzschliesst.

Das Werk steht in einem grösseren Kontext, der in diesem Fall auf eine reale Sammlung rekurriert. Für die Ausstellung Every Word You Say (2014) im Kunstverein Braunschweig ging von Wedemeyer von der Geschichte des Deutschen Spracharchivs aus. Er entwickelte einen akustischen Parcours, der einerseits auf die historischen Verwicklungen der Sprachforschung und Phonometrie mit der psychiatrischen und neurologischen Arbeit des Archivgründers Eberhard Zwirner hinwies, und andererseits der grundsätzlichen Frage nachging, wie die Analyse des Sprechens über die Semantik hinaus auch die Emotionen zu fassen versucht. Der antik wirkende Kopf liegt auf einem Sockel, der Mund ist von einer runden, reflektierenden Platte abgedeckt – soll er zum Schweigen gebracht werden? Zu hören sind Elemente einer gesummten Melodie sowie überpräsente, wie unter einer akustischen Lupe vergrösserte Körpergeräusche. Die simulierten ASMR-Sounds bleiben unterhalb der Semantik, sie sind dort angesiedelt, wo statt Sinn körperliche Reaktionen entstehen. Möglicherweise formulieren sie darin einen akustischen Widerstand gegen die fortschreitende Infiltration des Unbewussten durch Sprachanalyse und -steuerung.

Die spezifischen Ortsbezüge der künstlerischen Interventionen von Wedemeyers sind beim Eintritt in eine Sammlung nur schwer zu konservieren. Der Braunschweiger Kunstverein residiert in der Villa, die zuvor das Deutsche Spracharchiv beherbergte; solche lokalen Referenzen lassen sich allenfalls als Metadaten und sprachliche Kontextualisierungen in den neuen Bezugsrahmen überführen. Durch den Eintritt in die Sammlung entstehen jedoch neue und andere Bezüge.

Volker Pantenburg

 

«Bei Untitled (Cleopatra) ging es mir um die Anfänge von Sprache und in gewisser Weise um eine Vorform der Verlebendigung durch Atem- und andere Mundgeräusche.»

Clemens von Wedemeyer

 

Eine Art Zeitreise. Clemens von Wedemeyer im Gespräch mit Marie-France Rafael, in: «clemens von wedemeyer», Letizia Ragaglia, Christiane Meyer-Stoll, Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz (Hgg.), aus der sammlung 11, Vaduz 2023, S. 28.

<b>Clemens von Wedemeyer, Untitled (Cleopatra), 2014–2019</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.